Die ersten Verkehrsregeln – Verdrängung und Anpassung durch das Automobil
Um 1900 dominierte wie schon seit Jahrtausenden noch das Pferd bei der Beförderung von Menschen und Lasten. Privatautos konnten sich nur die gehobenen Kreise leisten. 1914 hieß es schon „Wien ersticke im Verkehr“, obwohl es damals nur ungefähr 4.000 Autos in Wien gab. Heute sind es allein in Wien um die 700.000.
Wie sind die bisherigen Verkehrsteilnehmer – Fußgänger, Radfahrer, Pferdekutschen und Straßenbahnen – mit der Einführung der Automobile auf den Straßen umgegangen? Es war ein „sensueller Schock“ für Nase, Ohren und Augen und löste auch bei vielen ein Gefühl der Ohnmacht und des Zorns über die Allmacht der „wild gewordenen Fahrmaschine“ aus. Auch die Pferde litten unter den neuen Geräuschen der Straße – ihr Scheuwerden war in den Anfangsjahren eines der größten Probleme bei der Durchsetzung des Automobils.
Die Fußgänger fühlten sich von der Straße verdrängt – auf die eigens für sie errichteten Gehsteige. 1911 wurde von der Wiener Polizeidirektion eine Gehordnung herausgebracht mit folgender Anweisung: „Der Großstädter hat sich stets vor Augen zu halten, daß die Fahrbahn der Straße zunächst dem Wagenverkehr zu dienen hat und daß für Fußgänger das Trottoir bestimmt ist.“
Das Auto eignete sich die Straße an – leider nicht ohne unzählige, teils dramatische Unfälle. In der „Reichspost“ wurde von „Automobilmorden“ geschrieben. Dennoch siegte das Auto im Anpassungs- und Verdrängungsprozess.
Österreich hatte im Gegensatz zum Deutschen Reich bis zum „Anschluss“ 1938 noch immer Linksverkehr, der geregelt werden musste. Zunächst wurden die den traditionellen Verkehrsträgern entsprechenden Bestimmungen einfach auf Auto und Motorrad übertragen. So orientierten sich vielfach die ersten Geschwindigkeitsbeschränkungen an der Schnelligkeit des Pferdes. Die ersten Fahrordnungen datieren aus der Zeit um 1900. Eine stark kritisierte Verordnung von 1905 legte die Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen mit 45 km/h, im Ortsgebiet auf 15 km/h fest – kontrolliert von der Polizei durch „eigene dienstliche Wahrnehmung“. Die Objektivität dieser Wahrnehmung stand bald im Zweifel und die ersten Aufzeichnungssysteme mittels Fotografien wurden entwickelt.
Der Ruf nach Verkehrszeichen wurde laut. Während des „Pariser Automobil-Salons 1908“ wurden vier Warnungszeichen beschlossen (weiß auf blauem Grund). Mit diesen vier Symbolen für Wassergraben, Kurve, Kreuzung und Bahnübergang kam man bis 1926 aus. Dann folgten weitere drei für unbewachte Bahnübergänge, allgemeine Gefahren und für verbotene Straßen.
Die Kennzeichenpflicht begann in Österreich erst mit der Verordnung vom 27. September 1905. Die Haftpflicht trat am 1. November 1908 mit dem „Gesetz über die Haftung von Schäden aus dem Betriebe von Kraftfahrzeugen“ in Kraft. Danach hafteten Lenker und Eigentümer für jeden durch das KFZ verursachten Schaden, auch bei Schäden durch scheuende Pferde.
1910 ratifizierten Österreich-Ungarn wie auch Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien, Monaco, aber auch Bulgarien und Russland ein Abkommen, in dem grundlegende Bestimmungen über die Zulassung der Kraftfahrzeuge bzw. die der Lenker, die Ausstellung internationaler Fahrausweise, die Anbringung von Kennzeichen, Hinweise über Warnvorrichtungen, spezielle Verfügungen über den Betrieb von Krafträdern, weiters Verkehrsregeln (Begegnen und Überholen von Fahrzeugen) und letztlich die Aufstellung von Hinweistafeln an öffentlichen Verkehrswegen festgelegt wurden. In Österreich musste man ab 1912 eine Führerscheinprüfung ablegen.
Quellen:
Seper, H.(1986): Österreichische Automobilgeschichte, Orac Verlag.
Technisches Museum Wien (2006): Spurwechsel. Wien lernt Auto fahren, Christian Brandstätter Verlag.
Austria Forum, Geschichte des Autos
Geschichte der Straße Fernverkehrssicherheit
Bildnachweis:
Bild 1: Wien 20, Wallensteinplatz (um 1910) © ÖNB, 69.547A (B)
Bild 2: Wien 1, Graben (1913), © ÖNB & Lichtbildstelle, L 27096 – B
Bild 3: Mehrsprachige Verordnung, Beleuchtung von Fuhrwerken & Linksfahrgebot (1914) ÖNB, KS 16213757